Pflichtverteidigung bei Berufung der Staatsanwaltschaft

Geltung der Richtlinie (EU) 2016/1919 in Würzburg?
Die EU-Richtlinie 2016/1919 („PKH-Richtlinie“) sieht vor, dass eine gerichtliche Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers schon frühzeitig in Ermittlungsverfahren zu treffen ist. Bislang haben die Gerichte sich in der Regel erst nach Anklageerhebung damit befasst. Nur bei Untersuchungshaft und anderen Sonderfällen wurde bereits im Ermittlungsverfahren ein Pflichtverteidiger bestellt.
Diese Richtlinie ist seit dem 25.05.2019 in Deutschland unmittelbar geltendes Recht, da die Vorschrift hier nicht rechtzeitig umgesetzt worden ist. In solchen Fällen sieht die Rechtsprechung des EuGH vor, dass die jeweilige Richtlinie auch ohne entsprechende Ausformulierung im Mitgliedsstaat unmittelbar gilt.
Nach der Richtlinie muss sichergestellt sein, dass ein Beschuldigter, der nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Finanzierung eines Rechtsanwaltes verfügt, Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat.
Nach der Richtlinie ist vorgesehen, dass eine gerichtliche Entscheidung über die Bewilligung/Ablehnung von Prozesskostenhilfe bzw. die entsprechende Beiordnung oder Nichtbeiordnung eines Pflichtverteidigers schon im Ermittlungsverfahren zu treffen ist.
In einem Fall das Kammergericht Berlin sich mit dieser Richtlinie beschäftigt (KG, 04.07.2019, 4 Ws 62/19-161 AR 138/19).
Das Kammergericht führt allerdings in seiner Entscheidung nur zunächst zu den Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit von EU-Richtlinien aus (z. B. hinreichend klare und genaue Formulierung). Dies dürfte in der Praxis unbeachtlich sein. Auch in Würzburg berücksichtigen die Gerichte die Richtlinie - wohl aus Vorsichtsgründen, um kein Rechtsmittel zu riskieren, falls die Richtlinie nicht zur Sprache kommt.
Gleichwohl wird nicht in jedem Ermittlungsverfahren ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Insoweit führt das Kammergericht aus, dass die Richtlinie nicht zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Pflichtverteidigung auf sämtliche Fälle führen soll, in denen gegen jemanden ein Ermittlungsverfahren geführt wird.
Im Ergebnis wird die Richtlinie nicht dazu führen, dass jeder Beschuldigte, der mit einer vergleichsweise unerheblichen Straftat konfrontiert wird, einen Pflichtverteidiger bekommt. Andererseits dürfte die Richtlinie zu einer Ausweitung der Fälle der Pflichtverteidigung führen. Dies bereits vor dem Hintergrund, dass die Richtlinie die Rechte von Beschuldigten stärken soll. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn die Richtlinie in der Praxis gar keine Rolle spielen würde.
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