Pflichtverteidigung wegen „Schwere der Tat“

Wann bekomme ich in Würzburg einen Pflichtverteidiger?
Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, einen Pflichtverteidiger zu bekommen: Zum einen den gesetzlichen Katalog des § 140 Abs. 1 StPO (z.B. Untersuchungshaft, Zuständigkeit des Landgerichts o. ä.)
In der Praxis viel wichtiger ist die Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO. Danach bekommt der Beschuldigte einen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger, wenn dies wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten ist oder wenn der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann. Bereits diese Formulierung lässt erkennen, dass hier ein gewisser Spielraum besteht – wie so oft im Strafrecht.
Wann liegt „eine Schwere der Tat“ oder eine „Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage“ vor?
In der Würzburger und deutschlandweiten Rechtsprechung sind dazu bereits unzählige strafrechtliche Entscheidungen ergangen (siehe hier).
In einer aktuellen Entscheidung hat ein Gericht sich mit der „Schwere der Tat“ beschäftigt. Nach dieser Entscheidung ist bei der Frage, ob eine besondere Schwere der Tat vorliegt, auch zu berücksichtigen, ob gegen den Betroffenen weitere Strafverfahren anhängig sind, die möglicherweise bei einer Gesamtstrafenbildung (Strafzusammenzug) zu berücksichtigen sind (LG Halle, 23.11.2018, 303 Ds Js 9005/18).
Gemeinhin gehen die Gerichte davon aus, dass ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. Das kann auch dann der Fall sein, wenn mehrere kleine Delikte im Raum stehen, jedoch insgesamt eine höhere Freiheitsstrafe zu erwarten ist.
In der Entscheidung hat das Landgericht Halle entschieden, dass auch bei der Erforderlichkeit einer Gesamtstrafenbildung ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, so dass ein Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beizuordnen ist.
Das Gericht führt aus, dass die Schwere der Tat sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung bemisst. Dies sei eben besonders dann der Fall, wenn eine Freiheitsstrafe von mind. einem Jahr zu erwarten ist. Falls daher aufgrund einer Gesamtstrafenbildung in mehreren Parallelverfahren eine Strafe von einem Jahr oder mehr zu erwarten ist, sei ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Das dürfte auch in Würzburg so gesehen werden.
Hinweis: Vertretbar ist auch, einen Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn zwar keine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr droht, die Gesamtstrafenbildung jedoch kompliziert ist.
§ 140 Abs. 2 StPO nennt als mögliche Voraussetzung der Pflichtverteidigung auch die „Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage“. Die Bildung einer Gesamtstrafe (§ 54 StGB), oder sogar die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe, wenn eine frühere Verurteilung bereits längere Zeit zurückliegt, ist rechtlich teilweise hoch anspruchsvoll und bringt teilweise sogar Rechtsanwälte für Strafrecht an ihre Grenzen. Nach unserer Ansicht ist daher bei der Erforderlichkeit einer Gesamtstrafenbildung ein Pflichtverteidiger zu bestellen.